Vor einiger Zeit führten wir eine spannende Unterhaltung mit der Personalverantwortlichen eines der größten Arbeitgeber in unserer Region. Sie war völlig konsterniert, weil sich das Verhalten von Bewerbern in letzter Zeit signifikant geändert hat. Sie berichtete eigentlich ziemlich fassungslos, dass sich das Rollenverständnis der Beteiligten bei der Bewerbung diametral ins Gegenteil verkehrt hat.
Der Kandidatenwettbewerb hat sich in einen Arbeitgeberwettbewerb verwandelt.
War früher der Arbeitgeber in der dominierenden Rolle und konnte einem geeigneten Kandidaten in seiner „grenzenlosen Güte und Großzügigkeit“ ein Angebot nach seinen Vorstellungen machen, so führen Kandidaten heute eine „Arbeitgeber-Ausschreibung“ durch, mit der sich potenzielle Arbeitgeber um den Kandidaten bewerben können. Sie definieren ihre Anforderungen an ihren zukünftigen Arbeitgeber sehr konkret und genau. Aus dem Vergleich der vorliegenden Angebote suchen sie sich dann das Angebot aus, das ihren Ansprüchen und Vorstellungen am nächsten kommt.
Ein anderes Beispiel für Talentemangel aus dem produzierenden Gewerbe:
Das mittelständische Unternehmen mit über 100 jähriger Tradition ist größter Arbeitgeber in einer strukturschwachen Region. Bisher konnten technische und kaufmännische Ausbildungsplätze vollständig an Kinder von Angestellten und besonders guten Kunden (bei vorliegender Qualifikation versteht sich) vergeben werden. Das Unternehmen ist stolz auf eine Belegschaft, die zu einem bemerkenswerten Teil bereits in der dritten oder vierten Generation beschäftigt, die Mitarbeiterbindung also exzellent und ganz überwiegend extrem dauerhaft ist. Bereits seit einigen Jahren jedoch reichen Bewerber aus der Region nicht mehr zur Besetzung aller Ausbildungsplätze aus, insbesondere (aber nicht ausschließlich) ortsfremde Mitarbeiter verlassen das Unternehmen nach einigen Jahren und nehmen Kernkompetenzen und Qualifikationen mit.
Für Unternehmen sind diese Beispiele deshalb vital, weil sie inzwischen keine Einzelfälle mehr sind, sondern einen deutlichen Trend zeigen. Die bisher eher abstrakte Vorstellung vom demographischen Wandel wird nun sehr konkret und die Unternehmen müssen sich und ihr Selbstverständnis nun tatsächlich ändern, um ihm erfolgreich begegnen zu können.
Führung, Kultur und andere Kriterien auf dem Bewerberprüfstand
Der Kampf um die besten Hochschulabsolventen und Ausbildungskandidaten verschärft sich, Themen wie „Employer-Branding“, „eRecruiting“ oder „iLeadership“ beherrschen die Medien. Klassische Auswahlkriterien wie Gehalt, Statussymbole, Arbeitsplatzsicherheit treten hinter Themen wie „Work-/Life-Balance“, flexible & familienfreundliche Arbeitszeiten, Möglichkeiten zum Arbeiten von zu Hause aus, fachliche Verantwortung, qualifizierte Weiterbildungsangebote etc. deutlich zurück. Was jedoch können Unternehmen konkret tun?
Die Veränderung beginnt zuerst im Kopf! Zunächst gilt es das Selbstverständnis zu ändern! Die Erkenntnis, dass man mit anderen Unternehmen im Wettbewerb um gute Mitarbeiter steht, muss dazu führen, dass man sich diesem Wettbewerb stellt.
Im Marketing würde man sich in dieser Situation zunächst um die Zielgruppe kümmern:
- Welche Kernmotive treiben die Zielkunden an?
- Welche Grundbedürfnisse haben sie?
- Wie unterscheiden sich die Motive und Bedürfnisse einzelner Segmente innerhalb der Zielgruppe?
- Welches Wertesystem gilt für die Zielgruppe?
Bezogen auf den Arbeitsmarkt bedeutet dies, sich entsprechend intensiv um die besten Kandidaten zu kümmern, profunde Erkenntnisse über die jeweiligen Befindlichkeiten und Anforderungsprofile zu sammeln und sein Angebotsportfolio entsprechend anzupassen.
Für das Produktmanagement in der Personalarbeit bedeutet dies nun die Anpassung des Produktportfolios.
Wer seinen Mitarbeitern dreidimensional (zeitlich, örtlich und inhaltlich) flexibles Arbeiten ermöglichen will, muss auch die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. Neben den technischen Voraussetzungen hinsichtlich Arbeits- und Kommunikationsmitteln geht es vor allem um neue Formen der Zusammenarbeit und Führung.
- Führung
Der wichtigste Faktor einer neuen Führung ist Vertrauen! Wer seine Mitarbeiter nicht mehr ständig im persönlichen Zugriff hat, muss lernen, ihnen die Erledigung der übertragenen Aufgaben im Rahmen der terminlichen Notwendigkeiten zur selbstgewählten Zeit und am gewählten Ort zuzutrauen. Aus diesem Zutrauen entsteht dann auch zwangsläufig das notwendige Vertrauen. - Kommunikation
Alle Beteiligten müssen lernen, noch verständlicher zu kommunizieren, sich auszutauschen und abzustimmen. Dazu gehört der Wechsel in die Perspektive meiner Kollegen und das Verständnis um die Einflüsse meines eigenen Handelns auf die Arbeit der anderen. Der Einsatz neuer, insbesondere sozialer Medien bedingt den Wechsel vom Monolog zum „Trialog“, zur dreidimensionalen Kommunikation (zu jeder Zeit, an jedem Ort, zu jedem Thema) in alle Richtungen. - Arbeitsorganisation
Arbeitsabläufe und Prozesse müssen den Unternehmenszielen dienen und entsprechende Arbeitsformen im Enterprise 2.0 unterstützen. - Zieldefinitionen und -vereinbarungen
Die Erreichung von gemeinsamen Zielen in den jeweiligen Organisationseinheiten müssen höher bewertet werden, als individuelle!
Auch hier gilt schließlich der Satz von Charles Darwin: “ Nicht die stärkste Spezies wird überleben, sondern diejenige, die sich am schnellsten den Veränderungen anpasst!“