Auftrag für Change Management
Als Reaktion auf die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2008 rief die Geschäftsführung des Auftraggebers ein fundamentales Restrukturierungsprogramm ins Leben, mit dem erhebliche Kosteneinsparungen erzielt und Synergie-Effekte gehoben werden sollten.
Gleichzeitig sollte das Unternehmen in Markt und Wettbewerb neu positioniert werden, um der Rezession zum Trotze profitables Wachstum zu generieren.
Die avisierte Managementaufgabe:
Mit der Übernahme einer Position als CMO (Chief Marketing Officer) und Mitglied im Executive Management Team sollte die strategische Neuausrichtung des Unternehmens, ein neuer Marktauftritt und die Restrukturierung des Bereichs Marketing & Produktmanagement als Teil einer kundenzentrierten Organisation entworfen und umgesetzt werden.
Welche Herausforderung wirklich auf den neuen CMO wartete, hieß Mitarbeiterführung:
Das Unternehmen war bereits durch mehrere Teil-Übernahmeprozesse gegangen und schließlich in die Hände des Auftraggebers gelangt. Die Mitarbeiter waren grundsätzlich verunsichert, die Rezession verstärkte die Angst vor einem möglichen Verlust des Arbeitsplatzes, das Restrukturierungsprogramm verstärkte diese Befindlichkeiten noch einmal deutlich.
Die Mitarbeiter versuchten, durch demonstrativen quantitativen „Dauereinsatz“ den neuen CMO von ihrem Engagement und ihrer Leistungsfähigkeit zu überzeugen, um so ihre Arbeitsplätze zu sichern.
Die Situation zu Beginn des Change Management Auftrages:
Management auf Zeit bedeutet für den Manager häufig ein Engagement weit entfernt von seiner Wohnung und Familie und damit verbundenes Pendeln am Wochenende. Unter der Woche gibt es – vor allem zu Beginn des Mandats – für den Manager kaum Anreize, sich in sein Hotelzimmer oder möbliertes Appartement vor Ort zurück zu ziehen. Vielmehr geht es für ihn darum, sich möglichst schnell in die Materie des Auftrages, die unternehmensspezifischen Besonderheiten des Auftraggebers und des Markt-/Kundenumfeldes einzuarbeiten. Auch geht die Vertragsgestaltung des Interim Managers häufig nicht von einer 35 Stunden Woche aus. Sie verfügen meist über eine spezielle Technik, um schnell große Mengen an Informationen aufzunehmen, auf Relevanz hin zu überprüfen und im Rahmen des Auftrages zielführend zu verwerten. Um also möglichst schnell arbeitsfähig zu werden und Zeit als kritischen Faktor möglichst effizient zu nutzen, sind diese Manager meist die ersten und die letzten im Büro.
In der Folge versuchten die Mitarbeiter, ihre Anwesenheit mit der Präsenz des Interim Managers zu synchronisieren, um ihn mit entsprechend langen Arbeitszeiten von ihrem Engagement und ihrer Leistungsfähigkeit zu überzeugen. Es entwickelte sich eine Atmosphäre des sich gegenseitigen Hochschaukelns der Mitarbeiter. So wurde z.B. eine Schiffsglocke aufgestellt, die im wahrsten Sinne des Wortes um 18:00 Uhr den „Arbeitsnachmittag“ einläutete, wer früher (also so ab 19:00 Uhr) das Büro verließ, wurde mit dummen Sprüchen wie „halber Gleittag“ verhöhnt und richtig gehend gemobbt.
Tatsächlich entsprachen die Ergebnisse der Arbeit erwartungsgemäß auch qualitativ nicht dem quantitativen Zeitaufwand der Mitarbeiter. Eine hohe Fehlerquote, eine immer miesere Arbeitsatmosphäre und ein ansteigender Krankenstand sprachen eine deutliche Sprache.
Spätestens an dieser Stelle ist ein Interim Manager auch als echte Führungskraft gefordert.
Ausgewogene Work-Life-Balance auch im Change Management Prozess?
Ist aber ein Interim Manager eigentlich auch verantwortlich für eine ausgewogene Work-Life-Balance der ihm während des Mandates unterstellten Mitarbeiter des Auftraggebers? Unsere Antwort lautet klar und deutlich: „NEIN!“ Denn für sein Leben ist jeder Mensch selbst verantwortlich!
Bevor Sie aber laut aufschreiend widersprechen, denken Sie doch einmal über folgende Thesen nach:
1. Eine ausgewogene Work-Life-Balance gibt es nicht!
Das Wort selbst ist schon ein Anachronismus! Als ob Arbeit gegen das Leben abzuwägen wäre. Vielmehr berücksichtigt eine ausgewogene „Lebens-Balance“ alle Aspekte des Lebens einschließlich der Arbeit. Aber es gibt viel mehr Aspekte im Leben als nur Arbeit: Die vollständige Ausgewogenheit der Erfüllung von Ansprüchen im Zusammenhang mit der Familie, dem Partner, Hobbies, Aus- und Weiterbildung, Vorsorge, Arbeitgeber, Vorgesetzten, Kollegen, Freunden und und und, ist schier unmöglich.
2. Das Leben ausbalancieren, heißt priorisieren!
Um ein im besten Sinne ausgewogenes Leben zu führen, müssen Sie Aufgaben und Ansprüche priorisieren und Entscheidungen treffen, Entscheidungen für die einen Aspekte und gegen andere. Der Volksmund sagt „Alles hat seine Zeit!“ Was heute wichtig erscheint, mag morgen anders beurteilt werden. Aber bedenken Sie auch dass es keine zwei Top 1-Prioritäten nebeneinander geben kann! Denn dann stünden nur noch 50% Ihrer Energie pro Priorität zur Verfügung. Und mit jeder weiteren Top 1 Prio verringert sich ihr Energieanteil. Können Sie sich wirklich vorstellen, für eine Top Priorität vielleicht nur noch 20% Ihrer Zeit und Energie einsetzen zu können? Dann würden Prioritäten einfach nur noch beliebig!
3. Prioritäten setzen, heißt Entscheidungen treffen!
Der bereits bemühte Volksmund sagt bedeutungsschwanger auf Englisch: „Love it! Change it! … or leave it!“ Solange Sie mit Ihrem Leben zufrieden sind, ist alles fein. Wenn sich jedoch Prioritäten und oder Ansprüche an Sie oder Ihre Lebensführung verändern, müssen Sie Ihr Leben neu ausbalancieren und Entscheidungen treffen – im Zweifel für den einen und gegen den anderen Aspekt in Ihrem Leben.
4. Entscheidungen treffen, heißt Lösungen entwickeln!
„Kann ich nicht! Will ich nicht! Mach ich nicht!“ ist nun wirklich keine Lösung. Wer alles macht, macht nichts richtig! Wer nichts macht, macht alles falsch! Die Kunst der Balance im (Arbeits-) Leben liegt in der Entwickeln von angemessenen Lösungen für die Herausforderungen, die man nicht jetzt oder nicht selbst erledigen kann. Einen einfachen und strukturierten Prozess zur Entscheidungsfindung beschreiben wir im Artikel Simplicity im Entscheidungsprozess.
Verantwortung des (Interim) Managers:
Sicher ist klar geworden, dass der (Interim) Manager nicht für eine ausgewogene Lebensbalance der ihm zugeordneten Mitarbeiter verantwortlich ist. Aber als vorgesetzte Führungskraft ist er sehr wohl verantwortlich für das Wohl und Wehe der Mitarbeiter am Arbeitsplatz im Rahmen der ihm übertragenen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Das bedeutet nicht, dass sich Mitarbeiter immer und jederzeit wohlfühlen müssen. Aber das bedeutet sehr wohl, dass der Manager die Rahmenbedingungen schaffen muss, damit die Mitarbeiter ihre vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erfolgreich erbringen können. Nicht mehr – aber auch nicht weniger. In einem Interim Management Mandat muss also dafür gesorgt werden, dass der unternehmerische Auftrag mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen erfolgreich erfüllt wird.
Maßnahmen im Rahmen des Change Management Mandates:
Führung bedeutet neben anderen Aspekten die Formulierung klarer Erwartungen an die Mitarbeiter und die Etablierung klarer Organisationsstrukturen und Arbeitsabläufe.
Mitarbeiterversammlung
Erster Schritt zur Veränderung der Situation im Bereich Marketing und Produktmanagement war die Einberufung einer Mitarbeiterversammlung. Mit einem „offenen Wort“ an die Bereichsmitarbeiter wurden folgende Botschaften klar und deutlich formuliert:
- Die Mitarbeiter werden für den Einsatz ihres Kopfes und nicht für ihr Hinterteil bezahlt, mit dem sie Schreibtischstühle warmhalten!
- Wer seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht im Rahmen von max. 45 Wochenstunden erledigen kann, hat wenigstens ein Organisationsproblem!
- Jeder Mitarbeiter ist verpflichtet, seine Arbeitsleistung hinsichtlich Inhalten und Zeitaufwand zu analysieren und praktikable Handlungsoptionen abzuleiten, um mit vertretbarem Zeitaufwand angemessene Arbeitsergebnisse zu erzielen.
- Wer im Rahmen seiner Analyse zu Erkenntnissen gelangt, die er im Rahmen seiner Kompetenzen und/oder mit der ihm zur Verfügung stehenden Infrastruktur nicht lösen kann, muss mit einem praktikablen und kostentechnisch vertretbaren Lösungsvorschlag eine Entscheidung im Zweifel bis hin zum CMO eskalieren.
- Die installierte Schiffsglocke wird nicht abgebaut! Allerdings wird mit ihr ab sofort Montags bis Donnerstags um Punkt 19:00 Uhr, Freitags um Punkt 17:00 Uhr der Feierabend eingeläutet! Die noch im Büro befindlichen Mitarbeiter müssen dann den Arbeitsplatz verlassen und dürfen nicht vor 7:30 am nächsten Tag die Arbeit wieder aufnehmen. Ausnahmen müssen vom CMO freigegeben werden. Die Glocke wird täglich wechselnd von einem anderen Mitarbeiter betätigt.
Denken in Lösungen
- Jede Führungskraft wurde zur Vermeidung von Monkey Business auf das Prinzip „Denken in Lösungen“ eingeschworen: Kein Mitarbeiter darf bei seinem Vorgesetzten ohne grundsätzlich praktikablen und kostentechnisch vertretbaren Lösungsvorschlag vorsprechen. Falls dies doch geschieht, muss der Mitarbeiter mit dem Motto „Denken in Lösungen“ zur Über-/Erarbeitung eines passenden Lösungsansatzes aufgefordert und ein fester Termin zur Besprechung vereinbart werden.
- Die erfolgreiche Umsetzung des Konzeptes inkl. Einhaltung der verabredeten Bürozeiten wurde Gegenstand einer außerordentlichen Zielvereinbarung mit den Führungskräften des Bereichs und für die Dauer des Mandates wöchentlich überprüft.
- Im Rahmen von 3 Trainingseinheiten „Train the Trainer“ zu den Themen Zeitmanagement, Entscheidungen treffen mit TMS und Innovations- & Kreativitätstechniken wurden alle Führungskräfte mit einem angemessenen Instrumentarium ausgestattet, um ihre Teams entsprechend weiter zu trainieren.
Das Ergebnis:
Nach anfänglicher Irritation unter den Mitarbeitern und Führungskräften hinsichtlich der Ernsthaftigkeit der Maßnahmen konnten die Mitarbeiter des Bereichs innerhalb von 4 Wochen zu angemessenen Anwesenheitszeiten im Büro geführt und eine Verlagerung der Arbeitsleistung in den Privatbereich erfolgreich verhindert werden. Durch den Einsatz des Train the Trainer Konzeptes wurde die Qualität der Arbeitsleistung messbar deutlich verbessert. Entsprechende Messergebnisse zeigten sich z.B. in der Reduzierung der Rückfragen und Eskalierung von Entscheidungen bis zum CMO.